Ein digitaler Wirbelsturm fegt durch festgelegte Audio-Strukturen und verwandelt sie grundlegend

Bislang hat die Audiowelt trotz Innovationen wie Spotify oder etwa 3000 reinen Web-Radiosendern keine derart einschneidenden Veränderungen wie im Bewegtbild erlebt. Dies ist der vergleichsweisen geringeren Digitalisierungsgeschwindigkeit geschuldet, da bisher vorrangig UKW-Endgeräte im Einsatz waren.

Wöchentliche Überschneidungen in der Nutzung

Radio und Podcasts/Radiosendungen auf Abruf (in %, 2023, E14+)

* 2018: Abfrage mit einer Antwortkategorie; ** 2023: Nettowert aus getrennter Abfrage
Basis: deutschsprach. Bevölkerung ab 14 Jahren (2018: n=2.009; 2023: n=2.000)
Quelle: ARD/ZDF-Online-Studie 2023

 Radio und Musik bei Streamingdienstleistern/YouTube (in %, 2023, E14+)

Bei Radio, Musik und Podcasts handelt es sich bisher um separate Teilmärkte im Audiobereich31. Sie haben sich in der Reichweite weniger stark kannibalisiert als im Bewegtbild, da sie durchaus unterschiedliche Nutzungsbedürfnisse ansprechen. So erfreut sich Radio aufgrund seiner harmonischen Mischung aus lokalen Neuigkeiten, lebhaften Gesprächen und Musik großer Beliebtheit. Als begleitendes Sekundärmedium beim Autofahren und Arbeiten ist es allgegenwärtig, was die anhaltend hohe Nutzungsdauer plausibel erklärt. Musik-Streaming und Podcast punkten durch selbstbestimmte Nutzung. Zweiteres stellt Themen zudem detailliert und teilweise meinungsstark eingefärbt dar. Der Anteil der wöchentlichen Parallelnutzung ist jedoch recht hoch, vor allem unter 50 Jahren (siehe Grafiken)10. Da die Zeit für Medienkonsum begrenzt ist, wird das Format Radio den Druck von Streaming und Podcasting in Zukunft deutlicher spüren.

Ein gewisses Altersgefälle wird sich ebenfalls verstärken…

….jedoch weniger ausgeprägt als im Bereich des Bewegtbilds, da hier noch ein zusätzlicher Alterseffekt wirkt. Menschen unter 30 Jahren neigen generell dazu mehr Musik als Radio zu hören. Wobei sich dieser Trend im Laufe des Berufslebens zugunsten des Live-Radios verschiebt31. Unter der Annahme, dass sich der rückläufige Trend bei der Tagesreichweite von Radio zwischen 2018 und 2023 linear fortsetzt, läge dieser 2029 bei einem Wert von 65% (Wert 2023: 68%). Die Tagesreichweite von Musik-Streaming, die seit 2020 zugenommen hat, würde unter dieser Annahme von 17% (2023) auf 32% in 2029 steigen. (Schätzung auf Basis der durchschnittlichen jährlichen Veränderungen der Tagesreichweite zwischen 2018 und 2023 sowie 2020 und 2023)12.

5G und Technik – Die genauen Gründe für eine Zäsur in der Audio-Branche

Der wichtigste Faktor für eine besondere Dynamik im Audiobereich wird die zunehmende Verbreitung von 5G im Mobilfunk sein. Die Prognose sieht eine 5G-Abdeckung von 87% in Europa bis 2030 vor33. Ein Wechsel von UKW (Ultrakurzwellen) zu DAB+ (digitaler Nachfolger von UKW) ist zu erwarten. Wobei dieser Übergang nicht abrupt erfolgen wird – so als würde ein Schalter umgelegt. Viele Sender werden bis dahin vollständig auf den digitalen Wandel umgestiegen sein. Während einige, beispielsweise in Regionen mit schlechterer Abdeckung, noch an UKW festhalten werden34. Die Konsequenz wäre ein übergangsweises uneinheitliches System für Werbebuchungen.

Förderlich für das Musik-Streaming

… wird der prognostizierte Einsatz von vernetzten Autos sein, die bis 2030 einen beeindruckenden Anteil von 78% erreichen sollen (19% der Audio-Nutzungszeit entfällt derzeit aufs Autofahren)31. Seit Dezember 2020 müssen nach europäischem Recht Audiogeräte sowohl im Auto als auch zu Hause über digitalen Empfang verfügen34. Was lineare Sender ebenfalls dazu ermutigen wird, vermehrt auf die DAB+ Technologie umzusteigen. Zudem wird die Mehrheit der unter 70-Jährigen bis 2029 im Besitz von Smart Speakern sein (2019: 13% vs. 30% 2022 bei 14-69-Jährigen). Die Smart Speaker werden momentan sowohl für Streaming als auch für analoges Radio genutzt35. Interessanterweise gewinnen auch Smart-TVs zunehmend an Beliebtheit für den Zugriff auf Online-Audioinhalte (2019: 13% vs. 2022: 27% bei Personen ab 14 Jahren)36.Was bedeutet dies für die Mediennutzung? Vermutlich wird das Smartphone zum zentralen Gerät für die gesamte Audionutzung. Es wird sich aber zunehmend mit Geräten in unterschiedlichen Nutzungssituationen via Sprachsteuerung vernetzen.

Hörer:innen werden in Zukunft zu Programm-Machern:innen

Die verschiedenen Audio-Bereiche verschwimmen zunehmend miteinander, denn für Nutzer:innen wird durch die digitale Transformation des Radios der Inhalt wichtiger als der Kanal. Die Audioformate (Radio, Streaming, Podcast, Hörbücher) werden zwar weiterhin nach Nutzungsmotiv ausgewählt, doch sie nähern sich gleichzeitig auch immer mehr an. Radio wird weiterhin live senden und gleichzeitig dem Bedürfnis nach Multioptionalität, Selbstbestimmung und grenzenloser Verfügbarkeit gerecht werden, indem es Beiträge, Interviews und Reportagen auch zeitunabhängig im großen Umfang zur Verfügung stellt. Die Anfänge dieser Entwicklung zeigen sich bereits in den Bemühungen der öffentlich-rechtlichen Player, Podcast-Inhalte zu erstellen. Podcasts, auf der anderen Seite, werden hingegen auch Live-Formate senden, sodass die Grenzen im Jahr 2029 langsam anfangen zu verschwimmen37. Für Werbetreibende würden diese Entwicklungen ebenfalls einen Umbruch bedeuteten. Bisher steht lineares Radio für einfache regionale Massenreichweite. Die regionalen Reichweiten können weiter bestehen bleiben, doch würden sie im digitalen Radio granularer und einfacher planbar werden, da personalisierter und programmatisch ausspielbar38.

Ein noch spannenderer Wandel zwischen einer neuen und einer alten Audio-Welt

… kann sich zusätzlich durch einzelne KI-Sender ergeben. Seit August 2023 gibt es bereits das erste webbasierte KI-Radio namens „BigGPT“, ein Pilotprojekt, das mit synthetischen Stimmen und journalistischen Informationen aus dem Netz arbeitet, jedoch inhaltlich von Menschen überprüft wird39. Futuristisch, doch nicht unmöglich, wäre sogar eine Interaktion mit KI-Moderator:innen, die sich mit menschlichen Moderator:innen abwechseln40. Bis 2029 werden einige jüngere Höre:*innen diese Möglichkeit zumindest ausprobiert haben, während in der breiten Bevölkerung weiterhin eine große Skepsis bestehen wird. Eine breit genutzte Funktion von artifizieller Technik hingegen wird das Zusammenstellen des eigenen Programms aus Musik, Themen und Nachrichten per Sprachbefehl sein. Das System wird Hörgewohnheiten durch Muster erlernen und Vorschläge machen sowie Inhalte zum Neu-Entdecken mittels ausgeklügelter Suchfunktion anbieten.

Podcasts sind das Paradebeispiel für die Zukunft plattformunabhängiger Unterhaltungsangebote

Befinden sich Podcasts bereits auf dem Gipfel ihrer Erfolgswelle? Sie werden höchstwahrscheinlich noch höhere Wellen reiten, denn die junge Podcast-Branche verspricht eine vielfältige inhaltliche Palette, von improvisierten Formaten bis hin zu aufwendig gestalteten Storytelling-Formaten, die Wissen und Unterhaltung verweben. Hinzu wird eine steigende Nachfrage nach journalistisch fundierten Beiträgen kommen, die bisher hauptsächlich investigativ-journalistischen Zeitungen (Print und Online) vorbehalten waren. Ebenso betreten Video-Podcasts zaghaft die Bühne, und die Fusion von Audio und Video verspricht eine faszinierende Entwicklung. Diese Symbiose könnte vermehrt Influencer:innen und Creator:innen in den Audiobereich locken, der sich zunehmend monetarisieren lässt41. Bahnen wir uns hier den Weg zu einer Art „Audio-YouTube“?

YouTube kündigt in seiner Zukunftsstrategie die Integration von Podcasts an

… und könnte somit zu einem maßgeblichen Konkurrenten im Bereich des Video-Podcastings avancieren27. Während einige Influencer:innen vorübergehend das Podcasting über etablierte Plattformen erkunden, um neuen Zielgruppen Einblicke in ihr Leben zu gewähren, könnte bei anhaltendem Erfolg der Weg langfristig zu YouTube führen41. Im Jahr 2029 könnte eine Entwicklung eingesetzt haben, die Audio-Inhalte nach qualitativ hochwertig produziertem Studio-Content und Journalismus bei den üblichen Audio-Streaming-Anbietern sowie, auf der anderen Seite, User-Generated-Podcast-Content bei YouTube differenziert. Hochwertiger Content ist mittlerweile nicht mehr exklusiv auf bestimmten Audio-Plattformen zu finden. Seit November 2023 bietet beispielsweise RTL Plus als Video-Streamingdienst Podcast-Formate, Musik und Hörbücher an. Die Vielfalt gattungsübergreifender Unterhaltungsangebote wird 2029 reichlich sein, wobei ihr tatsächlicher Erfolg von der Breite des Angebots und der Benutzerfreundlichkeit abhängen wird.

Die Entwicklung programmatischer Werbung wird eine raffiniertere Stufe erreichen, indem sie nicht nur auf Zielgruppen abzielt, sondern auch eine gezielte Ausrichtung nach Themen und Emotionen ermöglicht41. Eine künstliche Intelligenz durchsucht Podcast-Folgen in sekundenschnelle, kategorisiert sie und schlägt präzise Werbemöglichkeiten vor. Dies wird für sämtliche aufgezeichnete Formate gelten, unabhängig vom Anbieter.

Den Anfang des Papers schon vergessen?
Macht nichts! Hier die wichtigsten drei Audio Insights:

01

Die branchenübergreifende Digitalisierung und Technologisierung wird die Audiowelt grundlegend transformieren und die herkömmliche Unterscheidung zwischen linear und non-linear überflüssig machen. Die Grenzen zwischen live übertragenen und aufgezeichneten Inhalten verwischen, wobei alle Anbieter beide Formate gleichermaßen anbieten. Somit wird der Inhalt bedeutender als der Übertragungskanal.

02

Durch diese zunehmende Verschmelzung gewinnen Podcasts an Relevanz für ein breiteres Publikum und locken gleichzeitig mehr Akteure auf den Medienmarkt. Gattungsübergreifendes Entertainment etabliert sich als neuer Standard und bietet den Nutzer:innen mehr Multioptionalität auf einer einzigen Plattform.

03

KI-Radiosender werden keine Rarität mehr sein, wobei besonders die jüngere Generation diese Optionen erforscht. Die Möglichkeit, individuelle Programme basierend auf verschiedenen Inhalten zu gestalten, wird hingegen deutlich breiter genutzt werden, und personalisierte Vorschläge auf Grundlage der Hörgewohnheiten finden verstärkt Anklang.

Neben den Audio Insights gibt es hier noch weitere spannende Prognosen:

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Maximal dynamisch, maximal abhängig von der Innovationslust der Techies

Filme, Serien, Videos und TV Spots überall – jederzeit – auf allen Geräten und Plattformen

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